Angaben zur Person:
Name: Leo Imesch
Beruf: Bergführer und Skilehrer
Tätig in diesem Beruf: seit 1975
Aktueller Betrieb: Zermatters
7 Fragen an Leo:
Leo Imesch, dich trifft man in den Sommermonaten oft in Hermetje an. Dieser kleine Weiler zwischen Furi und Schwarzsee weckt in dir Kindheitserinnerungen. An was denkst du?
Bereits meine Eltern führten auf Hermetje das kleine Bergrestaurant. Der Säumerweg von Zermatt hoch zur Hörnlihütte führte an diesem Restaurant vorbei. Ich erinnere mich beispielsweise, wie wir morgens früh von weitem die Glöcklein der Maultiere hörten, die vollgepackt in Richtung Schwarzsee Material transportierten. Noch im Pyjama haben wir Kinder die Säumer und Maultiere Spalier stehend vor dem Restaurant empfangen – eine Szene, die sich in meinen Erinnerungen eingraviert hat.
Ich erinnere mich auch an dramatische Bergrettungen. Zu jener Zeit gab es noch keine Helikopter, und bei tragischen Bergunfällen wurden verletzte Bergsteiger oder gar Leichen auf Schlitten mit Maultieren an Hermetje vorbeigezogen. Diese Szenen beeindruckten uns als Kinder zutiefst. Gelegentlich durften wir sogar auf den Schlitten Platz nehmen. Meine Mutter mochte das zwar nicht besonders. Aber für mich gehören diese Erinnerungen an Hermetje zur schönsten Zeit meines Lebens.
Wie haben dich diese Kinder- und Jugendjahre geprägt?
Heutzutage zieht es mich nach wie vor lieber nach Hermetje als ins Dorf Zermatt. Die Stille dort oben schätze ich besonders. Die Natur ist für mich ein Zuhause, und ich liebe es, Kräuter 🌿 und Pilze in dieser Umgebung zu sammeln. Zusätzlich betreibe ich dort oben eine kleine Imkerei 🐝 und war lange Zeit sogar der höchstgelegene Bienenzüchter in den Alpen. Von meiner Mutter habe ich gelernt, Heilkräuter zu trocknen und verschiedene Tinkturen und Kräuterschnäpse herzustellen. Heute teile ich diese Leidenschaft bereits mit meiner Tochter, was mich mit Stolz und Freude erfüllt: Eine Leidenschaft, die Generationen überlebt.
“Von meiner Mutter habe ich gelernt, Heilkräuter zu trocknen und Tinkturen herzustellen. Heute teile ich diese Leidenschaft bereits mit meiner Tochter, was mich mit Stolz und Freude erfüllt: Eine Leidenschaft, die Generationen überlebt.”
Leo Imesch
Man kennt dich auch als Sagenerzähler von Hermetje. Wie kommt’s?
Die „Abusitza“ auf Hermetje erfreuen sich tatsächlich grosser Beliebtheit. Im gemütlichen Restaurant kommen wir zusammen, wo ich Episoden aus meiner Zeit als Skilehrer oder Bergführer zum Besten gebe. Hier teile ich Erinnerungen aus meiner Kindheit, oder auch gerne Sagen. Besonders gern erzähle ich die Geschichte, wie der Leichenbrettersee unterhalb Trockener Steg zu seinem Namen kam.
Die Ursprünge dieser Bezeichnung reichen zurück zu einer Schlacht zwischen den Schweizern und den Italienern. Eine Hirtin auf Rotenboden beobachtete, wie Italiener von der Theodulhütte aus einen Angriff auf Zermatt planten. Schnell eilte die Hirtin ins Dorf, um Alarm zu schlagen. Im Dorf fand sie nur den Pfarrer und seinen Sakristan vor, denn alle anderen Männer waren in fremden Kriegsdiensten. Der Pfarrer zog sich aus der Verantwortung und verwies darauf, dass er die Kirche bewachen müsse. Verzweifelt sass der Sakristan auf der Kirchentreppe. Doch die Frauen des Dorfes zeigten sich mutig: Sie verkleideten sich als Männer, bewaffneten sich mit Sensen und Mistgabeln und marschierten nachts in Richtung Trockener Steg.
Am heutigen Leichenbrettersee trafen die entschlossenen Frauen, begleitet vom Sakristan, auf die Italiener. Dieser ermahnte die Italiener zur Umkehr und drohte mit dem Einsatz seines “Heeres”. Dabei deutete er auf den See und erklärte, dass dieser den Namen Leichenbrettersee trage, abgeleitet von einer früheren Schlacht. Beeindruckt von diesem düsteren Namen flohen die Italiener zurück in ihre Heimat.
Dein Beruf zog dich in die Natur. Du bist diplomierter Skilehrer und Bergführer. Wie kam es dazu? Ursprünglich absolvierte ich eine Lehre als Kaufmann, jedoch wurde mir das Büro schnell eng. Ich musste nach draussen. Daher entschied ich mich, Bergführer und Skilehrer zu werden. In dieser Rolle habe ich viele wundervolle Momente erlebt. Einer davon bleibt mir besonders im Gedächtnis: Die Skitour mit dem König Karl Gustav 👑 von Schweden und Prinz Russo. Es war faszinierend, solch interessante Gäste zu begleiten. Wir flogen eines Tages mit der Air Zermatt zum Aeschihorn, stiegen aus, und plötzlich wurden die Leibwächter nervös. Der König hatte die Skier eines Leibwächters der Königin dabei, anstelle seiner eigenen. Glücklicherweise hatte ich immer ein Schweizer Taschenmesser dabei, sodass ich die Bindung rasch auf die Schuhgrösse des Königs einstellen konnte. Ich denke, den Leibwächtern war bei meiner improvisierten Lösung nicht wohl.
Hast du solche Erzählungen auch in deiner Funktion als Bergführer?
Es gibt so viele Erlebnisse, dass ich nicht weiss, wo ich anfangen soll. Aber eine Begebenheit bringt mich noch heute zum Schmunzeln. Grundsätzlich bin ich kein klassischer Matterhorn-Führer, ich bevorzuge eher die Ruhe. Auf dem Matterhorn war ich etwa 200 Mal, was aus Zermatter Sicht nicht als besonders häufig gilt. Meine bevorzugten Bergtouren waren vielmehr die Lyskamm-Überschreitung, Weisshorn, Obergabelhorn und Zinalrothorn.
Besonders erinnere ich mich an einen Gast, der mit mir auf das Matterhorn wollte. Zuvor hatten wir bereits gemeinsam das Zinalrothorn bestiegen, das als schwierigerer Gipfel gilt als das Matterhorn. Dort hatte er überhaupt keine Schwierigkeiten. Doch vor dem Matterhorn schien er plötzlich grossen Respekt zu haben. Schon am Vorabend stellte er mir unzählige Fragen. Am Morgen war der Gast plötzlich verschwunden. Erst später kam er zurück, behauptend, dass man ihm die Schuhe gestohlen hätte. Doch das entpuppte sich als Ausrede. Ich forderte ihn auf, die Schuhe anzuziehen, und dann machten wir uns auf den Weg zum Matterhorn. Die Tour verlief reibungslos. Kaum beim Abstieg wurde der Gast jedoch wieder nervös. Ich konnte ihn gut beruhigen und sagte ihm mit einem Augenzwinkern, dass noch niemand oben geblieben sei.
Die Ruhe auf Hermetje ist deine Heimat. Zermatt ist heute aber ein quirliges Dorf. Hat sich Zermatt verändert?
Zermatt hat sich enorm gewandelt. In meiner Schulzeit war die Bahnhofstrasse in Zermatt tagsüber regelrecht menschenleer. Nach dem Mittagessen hatten wir Kinder oft die Gelegenheit, zum Bahnhof zu gehen, da mein Vater dort ein Pferdetaxi betrieb. Portiers der verschiedenen Hotels warteten dort mit ihren Rollwagen auf das Gepäck der Gäste. Wir haben diese Rollwagen aber gerne in Beschlag genommen und düsten damit durch die menschenleere Bahnhofstrasse. Heutzutage erscheint dies schier undenkbar. Die Streiche und die Freiheit sind mir noch lebhaft in Erinnerung. In der heutigen Zeit würde die Polizei wohl schnell anrücken.
Zermatt ist für mich…
…Heimat. Der Ort an dem man viele Menschen trifft und Bekanntschaften knüpfen kann. Heute hat es mehr Touristen als früher. Deshalb suche ich manchmal die Ruhe und die Freiheit in den Bergen.