Die Gornerschlucht zwischen Blatten und Zermatt, nur zwanzig Gehminuten vom Dorfende entfernt, ist ein beredtes Beispiel des Zermatter Pioniergeistes, von eigener Hand seinen Gästen die Wunder der Gebirgsnatur zu erschließen und zu erhalten. Fremde waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Touristen willkommen, nicht aber als Investoren: Es ist überliefert, dass sich zunächst ein Franzose namens Charpentier um die Erschließungsrechte der spektakulären Schlucht bemühte – vergeblich. Die Zermatter Brüder Josef und Elias Lauber sowie Josef und Gabriel Taugwalder erhielten 1886 von der Urversammlung in Zermatt den Zuschlag, die Schlucht begehbar zu machen. Als Gegenleistung hatten sie das ganze Dorf zum Apéro einzuladen.
Das Konsortium, das die Gornerschlucht bis in heutige Zeit unterhält, setzt sich noch immer aus den Nachfahren der Brüder Lauber und Taugwalder zusammen. Ihnen ist es zu verdanken, dass in den vergangenen Jahren die komplette Anlage erneuert wurde – eine enorme Investition. “Das bin ich meinen Vorfahren schuldig, dass es mit der Gornerschlucht weitergeht. Wir wollten auf keinen Fall, dass es verfällt”, sagt Leander Taugwalder, Mitglied der Trägerschaft.
Naturjuwel Gornerschlucht – Geschwurbel und Gewirbel
Die Zermatter Gornerschlucht ist durch Auswaschen der Gornervispe nach der letzten Eiszeit entstanden. Zur Zeit der letzten großen Vergletscherung der Alpen (vor 15000 bis 20000 Jahre) lag die Obergrenze des Eises über dem Becken von Zermatt auf einer Höhe von 2700m Höhe (Peter Bearth: Geologischer Führer von Zermatt). Beim Abschmelzen der Gletscher suchte sich der Abfluss einen Weg durch die Gesteinsschichten und schleifte die Gornerschlucht.
Dem staunenden Besucher zeigen sich überhängende Felswände, grüner Serpentinit, Strudellöcher und Hohlkehlen, ein faszinierendes Geschwurbel und Gewirbel von Feuchtigkeit, eine spezifische Flora von Farnen und Moosen und, was von jeher beeindruckt, eine gewaltige Akustik.
Es ist das Verdienst der Zermatter, ihre Gäste ganz dicht an dieses Naturwunder heranzuführen und sie haben Schwerstarbeit dafür geleistet: Die Arbeiten in der Gornerschlucht, oder auch Gorner Gorge, wie sie zumeist genannt wurde, fanden im Winter 1886/87 statt, denn im Winter, der dazumal noch viel kälter war als heutzutage, ruhte die Landwirtschaft und der Fremdenverkehr war auf Eis gelegt. Wo heute das Kassierhäuschen steht, baute man eine Schmiede auf. Alle Eisen wurden vor Ort hergestellt. Ein Arbeiter hat das Eisen gehalten, ein anderer mit einem großem Hammer draufgehauen und das Eisen in den Fels getrieben – mit jedem Schlag eine viertel Drehung. Mit einem einfachen Vortriebssystem arbeitete man sich Schritt für Schritt voran. “Das war knallharte Arbeit”, so Leander Taugwalder. “Immer feucht, eiskalt und ein stetiger Wind, denn in der Schlucht ist immer Zug. Das war sehr gefährlich, aber es sind keine Unfälle überliefert.” Man achtete auf eine naturnahe Führung mit natürlichen, in der Region vorkommenden Materialien. Auf Sprengungen und Tunnels wurde verzichtet. Das Geländer von 1887 sei bis zum Schluss in einem ordentlichen Zustand gewesen, sagt Leander Taugwalder, aber eben nur 80cm hoch. Für die Körpergröße von Menschen des 19. Jahrhunderts sei das noch ausreichend gewesen, aber heute nicht mehr.
Hochwasser formt dynamischen Klettersteig
Auch die zunehmende Klimaerwärmung veränderte die Situation. In den 50er Jahren gab es in Zermatt ein Hochwasser, das dazu führte, dass zwei Drittel der Schlucht mitgerissen wurden. Seither ist der obere Teil nicht mehr für Fußgänger begehbar, wird aber vom Alpin Center als dynamischer Klettersteig genutzt. In den letzten Jahren gab es relativ große Niederschläge. Immer wieder richteten große Steine und Baumwurzeln relativ großen Schaden an. Die Trägerschaft hat deshalb die gesamte Anlage komplett erneuert. Das Geländer ist nunmehr, nach Auflage der Schweizerischen Unfallversicherung SUVA, 1,20m hoch. Gegen Steinschlag wurden größere Stahlnetze fixiert. “Die Gornerschlucht ist eine sichere und gute Anlage und ein tolles touristisches Angebot für Zermatt. Sie trägt zur Sensibilisierung der Bevölkerung und der Gäste für Natur- und Landschaftswerte bei”, sagt Leander Taugwalder.
Service-Box
Die ca. ein Kilometer lange Gornerschlucht erreicht man in zwanzig Minuten von Zermatts Dorfende Zen Stecken auf dem Wanderweg Blatten in Richtung Furi. Sie ist von Juni bis Mitte Oktober geöffnet, täglich von 9.15 bis 17.45 Uhr.
Eintritt: Erwachsene CHF 5.–, Kinder bis 16 Jahren CHF 2.50. Gruppen ab 10 Personen CHF 4.50/ Person, Anmeldung online im Restaurant Blatten oder unter T +41 (0)27 967 20 96.
Wer die Gorner Gorge noch abenteuerlicher erleben möchte, bucht im Alpincenter den drei bis vierstündigen “Dynamischen Klettersteig Gornerschlucht”.