Es ist noch früher Morgen. Ein sehr kalter Tag in Zermatt bricht langsam an. Ich bin mit David und seinem gutmütigen Labradorrüden Leo verabredet. Die beiden darf ich heute bei einer Trainingseinheit der Lawinenhundestaffel von Zermatt begleiten.
Jedes zweite Wochenende treffen sich die Hundeführerinnen und Hundeführer der Region, um zu trainieren. Momentan umfasst das Team acht Lawinenhunde und deren Besitzerinnen und Besitzer.
Heute sind nebst dem Labrador unter anderem auch ein Appenzeller und ein Australian Sheperd vertreten – eine bunt durchmischte Truppe. Die Rasse spielt in erster Linie keine grosse Rolle. Wichtig ist, dass die Hunde eine gewisse Grösse haben, um sich sicher im Schnee bewegen zu können. Sie dürfen aber auch nicht zu schwer sein – sonst würden sie einsinken. Zudem müssen die Vierbeiner einen begeisterungsfähigen und neugierigen Charakter aufweisen.
Der wohl schönste Trainingsplatz
Das Wetter könnte nicht besser sein. Kaum Wolken am Himmel und das Matterhorn erscheint in seiner vollen Pracht. Nur die Aussentemperatur von minus 19 Grad lassen mich ein bisschen frösteln. Auch die Hunde bleiben von dieser Kälte nicht verschont. Deshalb richten wir für die Vierbeiner, welche nicht sofort zum Einsatz kommen, ein warmes Plätzchen ein. Mit 1A Matterhornsicht und windgeschützt dürfen sich die Hunde, eingepackt in ihre Thermowesten, erst ein bisschen ausruhen.
Am Vortag wurde bereits ein Trainingsfeld zwischen Rotenboden und Riffelberg vom Pisten- und Rettungsdienst der ZBAG vorbereitet. Dank moderner Technik nimmt dies heute nur noch einen Bruchteil der Zeit in Anspruch, die es noch vor Jahren gebraucht hat. Mit Spezialballons und Maschinen werden relativ grosse Schneehöhlen geformt, welche anschliessend als Versteck für die simulierten Lawinenopfer genutzt werden. Rucksäcke, Ski und LVS-Geräte werden zusätzlich auf dem weitläufigen Gelände verteilt. Die Trainingseinheit soll einer möglichen Ernstsituation nahekommen.
Die Super-Spürnasen
Nach einer kurzen Lagebesprechung und einem LVS-Check geht es auch bereits los. Die drei Hundeführerinnen und Hundeführer teilen das Gebiet unter sich auf und lassen ihre Spürnasen laufen. Ich stehe gespannt neben Bruno, der die Rolle des Einsatzleiters Unfallplatz, kurz ELUP, einnimmt. Es ist erstaunlich, wie schnell die Hunde über den Schnee rennen und gezielt nach verschütteten Menschen und Gegenständen suchen. Der Wind spielt dabei eine wichtige Rolle für die suchenden Lawinenhunde. Deshalb muss die Führungsperson besonders darauf achten, aus welcher Richtung dieser weht.
Schon bald knarzen Stimmen aus dem Funkgerät: Die ersten Fundgegenstände und deren Position werden durchgegeben. Um den Überblick zu behalten, macht sich Bruno Notizen in ein Heft. «Im Ernstfall würde diese Aufgabe eine weitere Person übernehmen, damit sich der ELUP auf die Kommunikation konzentrieren kann», erklärt er mir.
Jeder gefundene Gegenstand wir mit einem blauen, nummerierten Fähnchen gekennzeichnet. So ist klar ersichtlich, was bereits gefunden wurde oder eventuell noch einer Person zugeordnet werden muss. Es dauert keine 10 Minuten und das erste vermeintliche Opfer wird gefunden. Mit Graben im Schnee zeigt der Hund die lokalisierte Person an.
Zeit spielt bei der Suche eine entscheidende Rolle. Denn bereits nach 15 bis 20 Minuten nimmt die Überlebenschance einer verschütteten Person rapide ab.
Die Vierbeiner beweisen eine Ausdauer, welche mich beeindruckt. Bruno erklärt mir, dass die Hunde mit der höchsten Ausbildungsstufe C bis zu einer Stunde aktiv suchen können. Sie sind nicht nur darauf trainiert, Menschen zu lokalisieren, sondern auch Gegenstände, die zu einer verunfallten Person gehören könnten.
Unter den Schneemassen
Nun bin ich an der Reihe. Ich darf aktiv bei der Übungseinheit mit einem Lawinenhund in Ausbildung teilnehmen. Bolt, ein quirliger Australian Sheperd und seine Besitzerin Sarah sind noch nicht offiziell in der Hundestaffel. Sie befinden sich in einem Probejahr, in dem getestet wird, ob der Hund die nötigen Voraussetzungen mitbringt und das Duo in die Gruppe passt.
Mit dem Trainingsaufbau für die Rettungshunde kann bereits als Welpe begonnen werden. Als erstes geht es vor allem darum, den Hund an laute Geräusche wie z. B. das von Helikoptern zu gewöhnen.
In einem zweiten Schritt wird die Suche nach Personen geübt. Dies wird langsam aufgebaut. Erst muss die Besitzerin oder der Besitzer gesucht werden. Später wird die Suche auf fremde Personen erweitert. Bolt ist bereits so weit, dass er andere Menschen suchen kann.
Also verstecke ich mich in einer der Schneehöhlen. Erst bleibt der Eingang der Höhle noch frei – damit er mich schneller findet. Und schon höre ich die Schritte der aufgeregten Spürnase. Mit überschwänglichem Lob und einer leckeren Paste locke ich Bolt zu mir in die Schneehöhle.
Nun gehen wir eine Stufe weiter. Alex, der die Übung leitet, verdeckt den Eingang mit Schnee. Ein mulmiges Gefühl, so eingeschlossen zu sein. Doch ich muss nicht lange warten und schon höhere ich ein Kratzen vor dem Eingang – da steckt Bolt auch bereits seine kalte Schnauze zu mir und freut sich über seine Belohnung.
Mehrjährige Ausbildung
Was Bolt noch bevorsteht, haben seine Hundekollegen bereits hinter sich: Die Ausbildung zum Lawinenhund dauert in der Regel drei Jahre. Im Alter von einem Jahr kann man den Hund vorführen. Danach wird ein einwöchiger Kurs absolviert und erhält nach dessen erfolgreichem Abschluss das Brevet Stufe A. Nach einem weiteren Jahr und einer nächsten Prüfung erreicht man Stufe B: Hund und Führungsperson können auf diesem Niveau bis zu 40 Minuten aktiv nach mehreren Personen suche. Nochmals ein Jahr später wird der Test für das Level C absolviert. Alle zwei Jahre muss eine solche Prüfung wiederholt werden.
Eine sehr zeitintensive Aufgabe, die Mensch und Tier unglaublich zusammenschweisst – wie mir alle bestätigt haben. Es war eindrücklich zu sehen, wie die Duos bei der Suche eine Einheit bildeten und die Hundeführerinnen und Hundeführer sich voll auf den Spürsinn ihrer Hunde verlassen können. Eine unglaublich wertvolle Arbeit, die im Notfall Leben rettet.