Vier Mal aufs Matterhorn – An einem Tag!

Aus erster Hand erzählen der Zermatter Andreas Steindl und der Cervinianer François Cazzanelli, wie sie im Sommer 2018 in 16 Stunden und 4 Minuten auf allen vier Graten zum Gipfel des Matterhorns kletterten. Start und Endpunkt: Hörnlihütte.

Es ist Mittwoch, der 12. September um 1:40 Uhr. Der Wecker klingelt und wir stehen nach einer kurzen Nacht auf. Viel geschlafen haben wir nicht. Eigentlich gar nicht. Die Anspannung hat uns nicht schlafen lassen.

Unsere Idee für den heutigen Tag ist immerhin das Matterhorn über all seine vier Grate hochzuklettern und den aktuellen Rekord aus dem Jahr 1992 von Hans Kammerlander und Diego Wellig (23,5 h) zu brechen. Also haben wir etwas vor.

Ein langer und harter Tag steht bevor

Ein kurzes Frühstück und nur wenige Worte später starten wir um 2:20 Uhr. Wir sind hochmotiviert und freuen uns auf einen langen, harten Tag am Matterhorn – dem Berg, der uns seit Jahren in seinen Bann gezogen hat. Da wir sonst Gäste auf den Gipfel führen, geniessen wir es, heute nicht als Bergführer, sondern für uns selbst an diesem einzigartigen Berg unterwegs zu sein.

Der Hörnligrat ist der erste der vier Grate. Es ist das 91. Mal, dass ich aufs Matterhorn aufsteige und somit kenne ich den Hörnligrat ziemlich gut. Deshalb ist es für uns auch kein Problem, den Grat im Auf- und Abstieg vollständig in der Dunkelheit zu klettern. Nach einer Stunde 40 Minuten stehen wir das erste Mal auf dem Gipfel. Drei weitere Mal sollen es heute noch werden.

Abstieg Hörnligrat
Abstieg Hörnligrat © Marco Camandona

2 Stunden 30 Minuten nach dem Start befinden wir uns wieder bei der Hörnlihütte und kreuzen zum ersten Mal die Bergsteiger, welche zum Hörnligrat starten. Wir selber brechen zum Furgggrat auf. Wir queren den Gletscher am Fusse der Ostwand und geben Gas, um nicht allzu lange dem Stein- und Eisschlag ausgesetzt zu sein. Im Breuiljoch angekommen beginnt die Kletterei. Anfangs ist sie derjenigen des Hörnligrats ähnlich. Der letzte Aufschwung wird dann jedoch um einiges technischer und senkrecht. Wir seilen uns zum ersten Mal an, um uns auf den kommenden Seillängen zum Gipfel gegenseitig zu sichern. Diese Seillängen sind auch die anspruchsvollsten des heutigen Tages. François steigt diese vor, da er der bessere Kletterer von uns beiden ist und wir auch taktisch denken müssen, um so schnell wie möglich zu sein. .

Nach total 7 Stunden stehen wir zum zweiten Mal auf dem Gipfel des Schweizer Wahrzeichens

Nach kurzer Pause und kurzen Gesprächen am Gipfel mit den Seilschaften, welche von der Hörnlihütte gestartet sind, beginnen wir zum zweiten Mal den Abstieg über den Hörnligrat. Eine weitere Stunde später sind wir wieder am Fusse des Berges angekommen.

Die Hälfte ist geschafft, nach 8 Stunden. Noch ist keine Müdigkeit zu spüren und wir haben eine lustige Zeit. Reissen immer wieder Witze und führen interessante Gespräche. Die Freude, dass die Tour noch nicht zu Ende ist, ist gross.

Nach einer viertelstündigen Pause brechen wir zur zweiten Hälfte auf.

Unter der Nordwand queren wir über den Matterhorngletscher zum Fusse des Zmuttgrates. Meiner Meinung nach der schönste Grat am Matterhorn.

Das Seil wird nach der Querung des Gletschers wieder im Rucksack verstaut. Anfangs kommen wir gut voran und fühlen uns frisch, körperlich wie auch psychisch. Doch je höher wir wieder aufsteigen, desto mehr spüre ich ein wenig die Müdigkeit in den Beinen und dass ich am Vortag bereits mit einem Gast aufs Matterhorn gestiegen bin. So geht es in nur mehr mässigem Tempo über den Grat. Auch die Sprüche und Gespräche nehmen ab und wir reden nur mehr das Nötigste. Ende der Zmuttzähne seilen wir ein kurzes Stück ab und klettern ungesichert weiter. Auch wenn die Müdigkeit aufkommt, so fühlen wir uns im Kopf noch frisch und klettern hochkonzentriert weiter. Immer noch mit der Möglichkeit anzuseilen, falls sich einer von uns nicht mehr sicher fühlt. Nach total 12 Stunden stehen wir zum dritten Mal etwas müde am Gipfel. Das Wetter ist zwar noch gut, jedoch sieht man, wie es aufquellt und sich dicke Wolken bilden. Der Wetterbericht meldet abends Gewitter. Ein Grund, nicht zu lange am Gipfel zu verweilen. Ein weiterer, dass wir im Rhythmus und unsere Muskeln warm bleiben sowie die Konzentration nicht nachlässt.

Francois im Abstieg am Liongrat
Francois im Abstieg am Liongrat © Andy Steindl

Der Abstieg über den Italiener Grat, den Liongrat, geht dann wieder etwas besser und ist weniger anstrengend, da dieser mit vielen Fixseilen ausgestattet ist. Am Rifugio Carrel geht es vorbei bis hinunter an den Beginn des Grates ins Colle del Leone. Nach bereits 13 Stunden 5 Minuten begeben wir uns zum letzten Aufstieg aufs Matterhorn. Die letzten 900 Höhenmeter verlangen uns einiges ab. Vom Gefühl her bewegen wir uns wie auf einem 8000er. Ein paar Schritte gehen/klettern und dann kurz stehen bleiben und durchatmen. Der Grat hüllt sich langsam in Wolken und wir haben das Gefühl, nicht voranzukommen. Doch das Gefühl täuscht, denn wir brauchen für den Liongrat nicht einmal zwei Stunden. Nach 15 Stunden stehen wir zum vierten Mal am heutigen Tage auf dem Gipfel des 4.478 Meter hohen Matterhorns. Wir sind von den Strapazen gezeichnet und gönnen uns eine kurze Verschnaufpause. Lange bleiben wir jedoch nicht, denn wir sind in Wolken eingehüllt und sehen sowieso nichts vom atemberaubenden Panorama, welches man bei schönem Wetter geniessen kann.

Zum vierten Mal auf dem Gipfel
Zum vierten Mal auf dem Gipfel © Francois Cazanelli

Nach einem Gipfel-Selfie geht es zum dritten Mal heute über den Hörnligrat runter. Der letzte langersehnte Abstieg.

Fast geschafft

Mit den Glücksgefühlen über den heutigen Tag verspüren wir fast keine Müdigkeit mehr und steigen leichtfüssig hinunter. Auch die Gespräche nehmen wieder zu. Leichter Schneefall setzt auf unseren letzten Metern ein. Nach einer Stunde Abstieg befinden wir uns wieder bei unserem Startpunkt, der Hörnlihütte. François und ich umarmen uns überglücklich, gratulieren und bedanken uns beim anderen. Wir sind froh zurück zu sein und können es kaum fassen. Obwohl wir noch versucht hatten im Abstieg alles zu geben, um unter 16 Stunden zu bleiben, gelingt es uns nicht ganz. Die Uhrzeit: 18:24.

16 Stunden und 04 Minuten dauerte unser Abenteuer am Matterhorn. Wir bleiben die Nacht nochmals in der Hörnlihütte, da sich nun ein Gewitter mit voller Kraft am Matterhorn entlädt. Viel länger hätten wir nicht am Berg unterwegs sein dürfen.

“Schlafen können wir dann die kommenden Nächte”

Mit der Hüttencrew und Freunden feiern wir noch bis in die frühen Morgenstunden. Essen, Trinken, Singen, Tanzen und selbst ein Fussbad bekommen wir. Schlafen können wir ja dann die kommenden Nächte 😉 .

Grosser Durst nach einem langen Tag ;) Foto Marco Camandona
Grosser Durst nach einem langen Tag 😉 © Marco Camandona

Welch schöner Abschluss eines unvergesslichen und einmaligen Tages. Ein weiterer Traum, der für uns in Erfüllung ging.

Fakten vom 4×4 Matterhorn Speedrekord

12. September 2018, Start 2:20 Hörnlihütte. Ziel: 18:24 Hörnlihütte

Nordostgrat «Hörnligrat» (Normalroute)
Schwierigkeit: ZS+, mit Grad III+ UIAA, 1220 Hm
Abstieg Hörnligrat

Südostgrat oder «Furggengrat»
Schwierigkeit: SS, mit V+ UIAA, 1300 Hm
Abstieg Hörnligrat

Nordwestgrat oder «Zmuttgrat»
Schwierigkeit: S, mit IV UIAA, 1220 Hm
Abstieg Liongrat

Südwestgrat oder «Liongrat»
Schwierigkeit: ZS+, mit UIAA-Grad III+, 900Hm
Abstieg Hörnligrat

Die ersten, die an einem einzigen Tag alle vier Grate erklommen haben, waren Hans Kammerlander und Diego Wellig, am 19. August 1992 in 23,5 Stunden. Seither hat es keiner mehr gewagt oder geschafft, diese Aneinanderreihung am Matterhorn an einem Tag zu versuchen.

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